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Wahrheit oder Pflicht

08.11.2019 | Speakers Corner

Das aktuelle Selbstverständnis von Medien kann man besonders gut am täglichen Kräftemessen von Donald Trump mit der New York Times oder der Washington Post beobachten. Seit seiner Wahl haben sich diese beiden großen und altehrwürdigen Medienhäuser vorgenommen, alle Aktivitäten des „ungeliebten“ Präsidenten genauestens zu beobachten und seine Lügen durch Enthüllungen zu enttarnen. Dafür setzen sie viel Geld und Heerscharen von Journalisten ein. Dass hinter der aufklärerischen Fassade auch Intimfeindschaften der Verleger mit dem Präsidenten stecken, ist bekannt und wirft die Frage nach dem Auftrag der Medien im Umgang mit (populistischen) Volksvertretungen auf.

Mit Spiegel und Springer hatten wir im Nachkriegsdeutschland auch schon stark polarisierende Debatten über die Grenzen der Pressefreiheit und spätestens seit eine erregte Zuschauerin im ZDF Morgenmagazin der Moderatorin Dunja Hayali den Begriff „Lügenpresse“ vor die Füße warf, ist die Debatte über das mediale Selbstverständnis auch in Deutschland voll entbrannt.

Im Morning Briefing erörtert auch Moderator Gabor Steingart zusammen mit Norbert Bolz, Philosoph, Autor und pensionierter Medienwissenschaftler am Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin, wieso die Medien weniger kritisieren und mehr kritisiert werden.

Der Wissenschaftler sieht den Grund darin, dass Journalisten heute Weltretter sein wollen. Im Aufschwung rechter Kräfte vermischen sie zunehmend die Nachricht mit dem Kommentar, erklärt Bolz. Um diese Aussage zu ergründen, führt Gabor Steingart als Beispiel die Nachricht über den Brand in einem Flüchtlingsheim an. Wie solle heute darüber berichtet werden? Bolz argumentiert mit der journalistischen Sorgfaltspflicht: Es ist die Aufgabe von Journalisten zu informieren. Diese Pflicht wird erfüllt, indem die Nachricht objektiv und neutral übermittelt wird. Steingart weist im Gegenzug auf die Verantwortung eines Lokalredakteurs hin, der die Konsequenzen seiner Veröffentlichungen in der Region bedenken muss.

Spagat zwischen Sorgfaltspflicht, friedvoller Nachbarschaft und Selbstschutz

Der Redakteur blickt demnach auf zwei harte Fronten: die journalistische Sorgfaltspflicht und das Streben nach friedvoller Nachbarschaft – nicht zu vergessen, der Selbstschutz. Mit der Gründung von Pegida sahen sich Lokaljournalisten 2018 einer neuen unmittelbaren Gefahr auf der Straße gegenüber. Die Zeit berichtete mitunter über ein Kamerateam des MDR, das beim Versuch, Demonstrationen in Chemnitz zu filmen, angegriffen wurde. Die Dialektik zwischen Sorgfaltspflicht und Subjektivität gewinnt dadurch eine weitere persönliche Ebene des Selbstschutzes.

Aber es stellt sich doch die Frage: Ist es einem langjährigen Journalisten überhaupt möglich objektiv zu bleiben? In erster Linie ist er ein Mensch, der lebt und fühlt. Eine Person, die Eindrücke gewinnt und Erfahrungen sammelt. Wer Situationen, wie die Ausschreitungen in Chemnitz am eigenen Leib erfahren hat, kann das Menschsein doch kaum ausschalten, um objektive Berichte über brennende Flüchtlingsheime zu schreiben und verachtende Worte über andere Kulturen zu zitieren. Aber es muss sein – zum Schutz der unabhängigen Presse.

Ein Journalist hat die Aufgabe zu informieren

Auch wenn wir aktuell womöglich das Gute in den Intentionen der Journalisten sehen und ihnen unsere Empathie aussprechen möchten, so müssen wir im Sinne der Demokratie doch darauf bestehen, dass die Medien die Nachrichten in erster Linie für eine klare, faktenbasierte und allumfassende Informationsweitergabe nutzen. Schließlich sind sie trotz Social Media und dem Twitterkanal der Polizei unsere erste Informationsquelle, unser Zugang zum Geschehen in der Welt und im Nachbarort. Sollten die Meinungen der Journalisten plötzlich nicht mehr mit unseren übereinstimmen, so müssen wir uns nichtsdestotrotz auf ihre Recherche und Worte verlassen können.

Norbert Bolz begründet es auch folgendermaßen: „Schon der Gedanke, ob eine Information zu einem Sachverhalt bei den Bürgern zu einer Reaktion führen könnte, die nicht im Sinne der Regierung oder nicht im Sinne der Sittlichkeit ist, ist eine Überlegung, die ein Journalist gerade nicht anstellen dürfte. Dass man die Bürger für unverantwortlich hält, dass man sie für eine manipulierbare Masse hält und dass man diese Leute kontrollieren muss in ihrer Meinungsbildung, ist gerade das Gegenteil dessen, was der Auftrag des Journalismus ist – nämlich zu informieren.“

Trotz Pressefreiheit steht die Presse zudem nie über dem Recht und muss sich an den Prinzipien der gesellschaftlichen Grundordnung bzw. der Verfassung orientieren. Das Presserecht setzt auch den Medien einen klaren rechtlichen Rahmen. Der Pressekodex enthält Regeln für die tägliche Arbeit von Journalisten. Der Presserat überprüft auf dieser Grundlage Beschwerden gegen Medien. Bei Verstößen kann das Gremium Sanktionen aussprechen, als schärfste Maßnahme eine Rüge. 2018 wandten sich 2038 Leserinnen und Leser an die freiwillige Selbstkontrolle, welche mit 28 Rügen zuletzt einen deutlichen Anstieg an Verstößen markiert.


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