Braucht es die Autorisierung von Interviews noch?
05.07.2024 | Speakers Corner
Wer meint, der heutigen Gesprächskultur würde es an Etikette mangeln, der hat die 1950er Jahre wohl nicht erlebt. Da geriet man sich bei Interviews noch so sehr in die Haare, dass der SPIEGEL sich der Erzählung nach gezwungen sah, allen Beteiligten die Mitschriften noch einmal zur Prüfung vorzulegen. Gleichwohl es mittlerweile gesitteter zugehen mag, findet die daraus entstandene Praxis der Autorisierung bis heute Anwendung. Die Vorteile liegen auf der Hand: falsch Wiedergegebenes kann korrigiert, Unverständliches eingeordnet und Unnötiges entfernt werden. Kurz: die Autorisierung dient der gegenseitigen Qualitätskontrolle.
Obwohl der Nutzen so eindeutig scheint, existiert diese Praxis neben Deutschland in kaum einer anderen Demokratie. Grund dafür könnte sein, dass eben nicht nur minimal korrigiert und eingeordnet, sondern nachträglich auch hinzugedichtet oder wegretuschiert wird. Es lockt der Anreiz, Änderungen zu eigenen Gunsten vorzunehmen – mitunter so umfänglich, dass kaum noch etwas vom ursprünglichen Text zu erkennen ist.
Der stern soll ein Interview mit Sigmar Gabriel geführt haben, das nach der Autorisierung plötzlich doppelt so lang war. Andere wiederum wollen ihr Gesagtes im Nachhinein doch nicht mehr in der Zeitung lesen. Im krassesten Falle bleibt der Redaktion dann nur noch übrig, geschwärzte Stellen oder gleich ganz leere Seiten zu publizieren – so geschehen etwa nach Interviews mit Philipp Rösler oder Olaf Scholz in der taz. Aber auch Oliver Kahn und Gabor Steingart sorgten schon für leere Seiten, nachdem sie Freigaben nachträglich wieder entzogen.
Da wundert es nicht, dass sich einige Zeitungen kritisch zur Autorisierung von Interviews positionieren. Schließlich gäbe es diese bei Live-Formaten etwa im Fernsehen oder im Radio ja auch nicht. Dass nun aber ausgerechnet die BILD als erste ankündigt, Interviews vor Abdruck nicht mehr zur Freigabe vorzulegen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ob sie damit tatsächlich dem landläufigen Eindruck entgegenwirken kann, das Gedruckte entspräche selten dem Gesagten, bleibt abzuwarten.
Vielleicht braucht es gar nicht die ganz großen Geschütze. Statt die Autorisierung abzuschaffen und sich damit implizit der gegenseitigen Qualitätsprüfung zu entledigen, könnte man sich auf den ohnehin geltenden Pressekodex verständigen. Da heißt es unmissverständlich: es gilt das gesprochene Wort, solange das Gesagte richtig wiedergegeben ist. Kurze Doppelprüfung statt langer Korrekturschleifen. Einmal etabliert, würde es Redaktionen Nerven sparen. Und Presseverantwortlichen Ressourcen, die sie an anderer Stelle sinnvoller einsetzen können – beispielsweise in die richtige Vorbereitung. In die Wahl des passenden Mediums und des geeigneten Zeitpunkts. In gute Medientrainings. Denn wer gut vorbereitet ist, steht zu seinem Wort. Das schafft am Ende echtes Vertrauen.