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Narren und die Wahrheit

08.01.2020 | Speakers Corner

Skulptur von Till Eulenspiegel.„Der Narr hält sich für weise, aber der Weise weiß, dass er ein Narr ist“, textete William Shakespeare dereinst und wirft ein Licht auf die Schattenwelt der Narren, Zweifler, Satiriker und Humoristen. Zumindest in der sogenannten freien Welt genießen sie freies Rederecht und genießen einen Sonderstatus. Früher am Königshofe, heute in der Prime Time. Sie gehören zum Establishment, sitzen bei den Herrschenden am Tisch und dürfen ihnen vor geladenen Gästen die ungeschminkte Wahrheit ins Gesicht sagen und verbringen dennoch nicht den Rest des Abends oder gar des Lebens im Kerker. Wie kann das sein? Könige und Politiker umgeben sich gerne mit Experten (Weisen) und legitimieren ihr Handeln durch deren fachkundigen Rat. Doch welche Expertise bringen Narren?

Ein Narr spricht, der Kluge denkt – so die geläufige Redewendung. Das Aussprechen einer anderen – vielleicht unbeliebten – Realität, sozusagen einer parallelen Wahrheit, die zwar alle kennen, aber die nicht in der offiziellen „Deutung“ vorkommt, erleben beispielsweise bayerische Politiker beim „Derblecken“ oder rheinische Politiker bei Prunksitzungen oder dem Rosenmontagsumzug. Hier darf der Schelm Tacheles reden und seine Sicht der Welt darbieten. Hauptsache, es unterhält.

Der Narr sagt, was die Menschen denken

Unterhaltung ist also die Expertise der Narren. Weisen wird allgemein kein großer Unterhaltungswert nachgesagt, die müssen ja auch denken. Der Narr hingegen spricht. Und zwar spricht er das aus, was die Menschen denken und bewegt, er bringt schwierige komplexe Themen auf einen plausiblen und gerne humorvollen Nenner. Er ist dabei politisch streitlustig, das Sprachrohr der Küchenpsychologie und des Flurfunks. Als Leiter des Wissensmanagements betrieb der begnadete Querdenker Prof. Gunter Dueck bei IBM die Kolumne „Wild Duck“, bei der er sich in seiner Rolle als unternehmerischer Hofnarr hineinfand und heute jegliches Herrschaftswissen seziert und sein Publikum zu einem meist heiseren Lachen animiert, da er allen immer einen Spiegel ihres eigenen beschränkten Verständnisses bzw. Wirkens vorhält. Von Dueck stammt auch die These, dass nicht nur Menschen, sondern auch Organisationen eine rechte und eine linke Hirnhemisphäre besitzen und eine Vielzahl von Verhaltensweisen, Denkstrategien und Emotionen hiervon betroffen sind, was zu unterschiedlichen Wirklichkeitsbetrachtungen führen kann.

Aus einzelnen Narren entstehen Netzwerke

Verschwörungstheoretiker haben Hochkonjunktur seit sich in den sozialen Medien Gruppen auch zu den abwegigsten Theorien zusammenschließen und sich wechselseitig ihre Sicht auf die Welt bestätigen können. Das kann unterhaltsam sein wie im Falle der Spaßreligion des „Fliegenden Spaghettimonsters“ oder aber auch bierernst, wie in der hochaktuellen Debatte um eine „Klimalüge“. Hier entstehen aus einzelnen „Narren“ teilweise globale Netzwerke, die ihren Mitgliedern schon allein per Masse die Zugehörigkeit zu einer starken Glaubensgemeinschaft vorgaukeln. Alternative Fakten werden hier systematisch aus-, Belege der eigenen Sicht systematisch eingeblendet. Plausibilität und Nachvollziehbarkeit bedienen das menschliche Bedürfnis nach Mustererkennung und Geschichten. Blöd nur, dass diese Veranlagung eigentlich dazu dient, Gefahren zu erkennen und daher eher in der negativen Phantasiewelt angesiedelt ist. Überall lauert der menschenfressende Tiger.

Viele junge Menschen wenden sich von den glatten, offiziellen Statements und Nachrichtenkanälen etablierter Weltenerklärer ab. Konjunktur haben hingegen unterhaltsame Formate bei YouTube, die Satire-Zeitschrift Postillion, die „Heute Show“, Joko & Klaas gegen ProSieben, Jan Böhmermann und andere Helden einer neuen Art des Infotainments. Die Jugendlichen wählen ihre Satire-Idole auch ins Europaparlament und mittlerweile werden TV Komiker aufgrund ihrer Popularität auch in höchste Staatsämter gewählt. Interessant, dass auch die jugendliche Fridays for Future Bewegung im Grunde davon ausgeht, dass der gesellschaftliche Status Quo auf einer falschen Wahrnehmung der Herrschenden beruht (Blindheit) und bezeichnenderweise eine autistische Klimaaktivistin mit einer eigenen „Musterdeutung“ und Perspektive aktuell die etablierte Welt „zum Narren hält“.

Kinder und Narren sagen die Wahrheit, lautet eine andere Redewendung.


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