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Auf der Suche nach der Wahrheit – im Internet?!

11.12.2019 | Speakers Corner

„Er ist viel beschworen und rar: der rationale Diskurs.” So beginnt der beachtenswerte Artikel „Wie wäre es mit Argumenten?“ des Wissenschaftsjournalisten Ralf Grötker in der Novemberausgabe 2009 des Wirtschaftsmagazins brand eins. Es geht darin um die Frage, ob und wie ein rationaler Diskurs gelingen kann und welche Rolle das Internet dabei spielt.

Grötker porträtiert David Price, der zusammen mit seinem Kollegen Peter Baldwin die Website Debategraph.org gegründet hat, bekanntgeworden in der Politshow der CNN-Chefkorrespondentin Christiane Amanpour. Amanpour interviewte für ihre Show Persönlichkeiten wie Bill Clinton oder den damaligen Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Der Debategraph strukturierte und visualisierte für die Zuschauer diese Interviews, aber auch komplexe Themen wie den Afghanistan Einsatz der Nato. Laut Grötker nur ein Beispiel für eine Reihe von damaligen neuen Tools, die „Methoden der als Mindmapping bekannten Visualisierung” nutzen, um „komplexe Themen mit Argumentationsstrukturen zu verbinden” und dadurch zu einer „Rationalisierung der Argumentation” führen wollten.

Die Erwartungshaltung an virtuelle Debatten ging allerdings auch 2009 schon viel weiter und Grötker räumte bereits vor zehn Jahren auf mit der Hoffnung, „dass neue Medien mehr Demokratie ermöglichen.” Ihm war nach eingängiger Prüfung der bestehenden Diskussions-Plattformen klar, dass das Internet eher dazu beitrage „bestehende Positionen zu verfestigen”, als einen offenen Diskurs zu befeuern. Zehn Jahre später diskutieren wir dieses Phänomen unter dem Schlagwort der Echokammern.

Wo stehen wir heute?

Mitten im Europawahlkampf veröffentlichte der YouTuber Rezo ein Video mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU” und kritisierte darin unter anderem die Klima- und Sozialpolitik der Partei. Das Video wurde mittlerweile über 15 Millionen Mal angeklickt, eine Reihe von Youtubern rief dazu auf, bei der Europawahl weder die Unionsparteien noch die SPD zu wählen. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer warf den Youtubern danach „Meinungsmache” vor und kündigte an, eine offene Diskussion über Regeln für digitale Medien anstoßen zu wollen, denn hätten 70 Zeitungsredaktionen einen ähnlichen Aufruf gestartet, wäre die Folge wohl eine „muntere Diskussion in diesem Land” gewesen. Auch wenn die Aufregung groß war – was Rezo und auch andere Youtuber oder Formate wie die „heute show“ liefern, ist gut gemachte Politikunterhaltung, nicht mehr und nicht weniger. Es fehlt der Austausch.

Debatten werden heute vielfach online geführt. Vermeintlich geht es um die Suche nach DER Wahrheit. Dabei gibt es die eine Wahrheit meist nicht. Künstliche Intelligenz (KI) kann dabei helfen Argumente zu systematisieren und solange abzuwägen, bis am Ende ein Ergebnis steht. Sie hat dabei aber mit zwei Problemen zu kämpfen. Einerseits werden Diskussionen häufig emotional geführt, was die Menschen betrifft, umtreibt und berührt wollen sie nicht durch Algorithmen, durch „Kopfgeburten“ gelöst wissen. Zudem leben die Medien im Allgemeinen, Talkshows im Besonderen und vor allem auch die Politik von anhaltenden Diskussionen, vom dauerhaften Ringen um Positionen, von der Debatte selbst, das Finden von finalen Antworten ist hier gar nicht gewünscht.

In rein sachlichen Debatten dagegen ist die KI menschlichen Kontrahenten bereits gewachsen: Vor einem Jahr präsentierte IBM Project Debater, ein System mit KI, das sich im Wettkampf mit zwei israelischen Debattier-Profis aus dem Stand ein Unentschieden sicherte. Diskutiert wurden die staatliche Finanzierung von Raumfahrt und der Einsatz von Telemedizin. Während in der ersten Debatte Noa Ovadia das Publikum für sich gewinnen konnte, überzeugten die vorgebrachten Fakten der KI im zweiten Fall mehr als die Präsentation von Dan Zafir.

Online-Debattentools wie Debatoo - Ergebnis eines Projektes des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung - versprechen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz Online-Diskussionen in Echtzeit zu strukturieren und zu moderieren. Diskussionsteilnehmer sollen ihre Argumente durch Quellen und Belege untermauern können. Ein interessantes Anwendungsbeispiel ist die CDU Sachsen, die die Bürger aufruft, mittels Debatoo ihre Wünsche und Anregungen für die Ausarbeitung des Wahlprogrammes zur Landtagswahl am 1. September 2019 einzureichen.

Ob mit oder ohne Tools, im Internet oder in Debatten am heimischen Frühstückstisch, in der öffentlichen Diskussion oder beim Abendessen mit Freunden, im Wirrwarr aus Schlagwörtern, Meinungen, Vermutungen, Zuspitzung, Einseitigkeit, Angst, „Fake News“ und Echoräumen, gilt es, den Überblick zu bewahren und basierend auf umfassender Information eine fundierte Haltung zu entwickeln. Viel Spaß beim Diskutieren! Wie sagt der Volksmund so treffend – sich die Köpfe heiß reden bzw. einen kühlen Kopf bewahren. Die richtige Raumtemperatur scheint bislang für die Meinungsbildung mit herkömmlicher menschlicher Intelligenz jedenfalls genauso wichtig zu sein, als die technischen Möglichkeiten des Internets.


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