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Fakten oder Fiktionen – wie nehmen wir die Welt wahr?

24.09.2019 | Speakers Corner

Litfaßsäule, die mit verschiedenen Plakaten bedeckt ist.Eine schöne Redewendung – Menschen nehmen Dinge (für) wahr. Absolute Wahrheiten gibt es nicht, nur individuelle. Die Menschen machen sich ein Bild der Wahrheit und darin können sie sich täuschen. Das wird ausgenutzt und zwar nicht erst seit Facebook. Was brauchen Menschen, um ein möglichst realistisches Bild von „der Wahrheit“ zu erhalten? Fakten? Gibt es die überhaupt, wenn sich doch alle ihr eigenes Bild machen über tagesaktuelle Vorgänge, aber auch über die Vergangenheit. Nichts scheint gefestigt, alles ist im Fluss.

Viele behaupten wir leben im postfaktischen Zeitalter. Als Beleg dafür muss immer wieder Donald Trump herhalten, der mit dem Begriff „alternativer Fakten“ zunächst Gelächter und mittlerweile eine Diskussion darüber losgetreten hat, inwiefern Gruppen von Menschen mittels selektiver Wahrnehmung in Echokammern nur noch das wahrnehmen, was ihrem Weltbild entspricht und den Anderen der Lüge, der Unwahrheit und Dergleichen bezichtigen. Aber ist das neu?

Das Glas ist halb voll oder leer, die Welt ist gut oder böse, es geht den Deutschen aktuell gut oder schlecht: Gegensätze und Pole, getrieben durch eigene Einstellungen und Überzeugungen, bestimmen die öffentlichen Debatten und Diskurse. Seit jeher. Wirklichkeitskonstruktion benötigt die Abgrenzung zu anderen Perspektiven, um den eigenen Standpunkt zu verdeutlichen. Hier ist nicht dort. Die Welt – bitteschön – dreht sich um die eigene Wahrnehmung.

Nicht erst durch Donald Trump haben sich aber die Art und Weise der Auseinandersetzung und die Orte der Meinungsbildung verändert. Das Forum Romanum im alten Rom oder der Dorfplatz in der Gemeinde waren Orte, an denen versucht wurde, sich im persönlichen Diskurs mit anderen „Wahrheiten“ auf eine gemeinsame Interpretation und Einordnung von Vorgängen zu verständigen. Persönliche Erlebnisse, Geschichten und Erfahrungen gaben hierbei „den Ton“ an. Zeigen und belegen konnte man ja nichts und erst die Verschriftlichung und letztlich der Buchdruck ließen es zu, dass ein kollektives Verständnis über mündliche Überlieferungen und Anekdoten entstand. Die Bibel, wie alle religiösen Manifeste, ist ein schönes Beispiel dafür, dass relativ wenige belegte historische Fakten ergänzt um Mythen und Interpretationen (sogar der Schöpfung) ausreichen, um für viele Menschen bis heute ihren Glaubensgrundsatz zu bilden. Philosophische Konzepte versuchen seither flankierend mit Hilfe der Vernunft die Existenz Gottes zu „beweisen“, der sogenannte Gottesbeweis. Überhaupt … was es nicht alles zu beweisen galt … von der Inquisition bis hin zu McCarthy … wer früher „alternative Fakten“ verbreitete, landete zuweilen schnell auf dem Scheiterhaufen.

Das Vortäuschen von alternativen Fakten gehört zum festen Repertoire der Erdenbewohner. Vom eitlen Pfau, dem Fischschwarm als vermeintlich großes Tier bis hin zum Chamäleon; Lebewesen reagieren spontan auf Signale und interpretieren sie mit ihrer Sensorik und Intelligenz. Hierbei kann es nicht nur im Tierreich zu verhängnisvollen Irrtümern kommen, insbesondere seit Bilder, Fotos und zunehmend Bewegtbilder dem wichtigsten Sinnesorgan, dem Auge, Fakten unzweifelhaft vorgaukeln. Deepfake hat jedenfalls das Potential das Unwort des Jahres zu werden. Wir erinnern uns an das trojanische Pferd oder an die potemkinschen Dörfer. Man sieht das, was man sehen will. Und mit neuen technischen Möglichkeiten nimmt der Einsatz von Täuschungsmanövern eben zu.

Manipuliert werden wir aber nicht nur durch die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der medialen Postproduction. Bei Veranstaltungen kann die Wirklichkeit selbst durch Fake Demonstranten, Fake Fake Claqueuren und Fake Vorwürfen oder Zwischenrufen so inszeniert werden, dass vor laufender Kamera Fakten und Fiktionen unteilbar miteinander verbunden sind. Die Zeitschrift Hollywood Reporter hat herausgefunden, dass sich u.a. Trumps Wahlkampfteam gerne der Dienste von gekauften „Crowds on demand“ bediente. Der ehemalige französische Präsident Sarkozy (scheinbar 166 cm Körpergröße) soll bei Firmenbesuchen schon auch mal darauf bestanden haben, dass er nicht von 185 cm großen Ingenieuren umrundet ist. Wahrscheinlich beides keine Fake News.

Und der NSU Prozess lehrt uns, dass auch jahrelange Gerichtsverfahren nicht mehr aufdecken können, welche Rolle verdeckte Ermittler bei einem braunen Schurkenstück gespielt haben, das nicht sein kann, weil es nicht sein darf.

Noch mal Trump: laut einer Zählung der "Washington Post" im April 2019 hat der US-Präsident seit Amtsantritt mehr als 10.000 "falsche und irreführende" Angaben gemacht. Bei bis dahin 827 Amtstagen kommt der Präsident damit auf durchschnittlich zwölf Falschbehauptungen pro Tag, Tendenz steigend. Kein Kommentar.

Öffentlichkeitsarbeiter üben sich im täglichen Umgang mit Glaubwürdigkeit und Fakten. Sie selektieren Informationen, arbeiten sie auf und verteilen sie in die verschiedenen Arenen der öffentlichen Debatte. Lügen ist verboten, aber das Priorisieren von Themen, das Setzen oder Blocken einer Agenda, der Widerspruch falscher Behauptungen oder Darstellungen – alles das macht HeadlineAffairs im Kundenauftrag seit 15 Jahren. Ein Grund sich dem Thema „Fakten oder Fiktion – wie nehmen wir die Welt wahr?“ aus 15 verschiedenen Perspektiven zu nähern. Machen Sie sich ein Bild! Ein nicht wissenschaftlicher Zwischenruf im Sommer 2019 – mitten im postfaktischen Jahrzehnt, Jahrhundert oder Jahrtausend?


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