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Die Google News Initiative

20.11.2019 | Speakers Corner

Ist die Google News Initiative das Rettungspaket der deutschen Journalismus-Verlage oder die größte Schmiergeld-Kampagne der Geschichte des Journalismus?

Zum täglichen Handwerk des PR-Beraters gehört unter anderem das Beobachten der Medienlandschaft. Jeder hat hier seine eigene Strategie, Methode, Software oder Technik, um die für sich relevanten Artikel zu finden. Google News bietet beispielsweise das Tool „nach Relevanz sortieren“ an. Aber was ist denn überhaupt relevant für wen? Sind Artikel mit populistischem Inhalt für Bürger mit populistischer Färbung relevanter? Wäre nicht ein Artikel über die schädlichen Folgen des Klimawandels in Trumps Google Suche von mehr Bedeutung als in meiner eigenen?

Google hat es sich bei der Gründung der Suchmaschine zur Aufgabe gemacht, möglichst vielen Menschen möglichst viel Wissen zur Verfügung zu stellen. Wissen ist in diesem Zusammenhang allerdings ein dehnbarer Begriff. Laut Duden besitzen wir Wissen, wenn wir „durch eigene Erfahrung oder Mitteilung von außen Kenntnis von etwas, jemandem haben, sodass zuverlässige Aussagen gemacht werden können.“ Basiert dieses Wissen allerdings nicht auf Fakten und der Wahrheit, sondern auf der individuellen Wahrnehmung einzelner Personen(-Gruppen), die befähigt sind im Internet frei ihre Meinung zu äußern, so ist dieses Wissen viel mehr als Meinung zu begreifen.

Verbreitung von „Fake News“

Die individuelle Meinungsäußerung ist – dem BGB sei Dank – eines Jeden Recht. Zur Anreicherung von „Wissen“ ist die Verbreitung und unreflektierte Aufnahme von individuellen Meinungen jedoch nicht immer zuträglich. In den linearen Medien werden Meinungen zumindest selektiert. Hier ist der „Publikation“ die Redaktion vorgeschaltet. Diese selektiert für uns vor, sie versucht Wahrheit von Wahrnehmung zu trennen. Diese Instanz der Kontrolle fehlt in den sozialen Medien sowie auf Blogs und privaten „Nachrichten“-Websites. So schreibt auch die Europäische Kommission: „Die Technik bietet, insbesondere über die sozialen Medien, zwar neue und einfache Möglichkeiten, Informationen in großem Umfang schnell und zielgenau zu verbreiten, doch können diese Techniken auch als mächtige Echokammern für Desinformationskampagnen genutzt werden.“ Öffentliche Stellen haben zwar die Pflicht sowohl die freie Meinungsäußerung zu gewährleisten und zu schützen. Schützen sollen sie aber auch die Bürgerinnen und Bürger vor Desinformation, bewusster Manipulation und Verbreitung von Falschinformationen, sogenannten „Fake News“.

An dieser Stelle versucht Google mit der GNI, der Google News Initiative, anzusetzen (vorher „Digital News Initiative“). Google investiert in ein so genanntes Disinfo Lab, das zusammen mit der Organisation First Draft Falschinformationen vor allem im Umfeld von Wahlen und Breaking-News-Szenarien aufdecken soll. Google weitet seine Zusammenarbeit ständig aus und versucht dabei Qualitätsjournalismus zu fördern. In Zusammenarbeit mit Partnern wie The Trust Project, ein Konsortium von Top-Nachrichtenagenturen unter der Leitung der Journalistin Sally Lehrman, versucht die GNI Transparenzstandards zu entwickeln, die helfen, die Qualität und Glaubwürdigkeit des Journalismus leichter zu beurteilen.

Finanzspritze für deutsche Verlage

Eine weitere Säule der GNI bildet das neue Abonnenten-Feature des Konzerns, „Google Subscriptions.“ Registrierte Verlage können Artikel einfach hinter einer Paywall verbergen lassen, so wie das bereits bei einigen Medienhäusern üblich ist. Dieser Dienst wird sozusagen an Google ausgelagert. Google-Nutzer mit Google-Konto (sprich zum Beispiel jeder Android User) können mit ihrem Konto bestimmte Zeitungen abonnieren und bekommen so direkten Zugriff auf die einzelnen Artikel. Alle Wege führen zu Google.

Aber wo stünde Google, wenn es immer nur nehmen würde: Die Verantwortung für Abonnements, die Verantwortung für Desinformation, Artikel-Recherchefunktionen usw. – deshalb schüttet Google in vier Jahren 200 Millionen Euro an Verlage, Start-ups und Medienhäuser in ganz Europa im Rahmen der GNI aus. Der Löwenanteil ging dabei an Deutschland, gefolgt von Großbritannien und Frankreich. Gegliedert wurden die Spenden wie folgt: „Prototypes“ sind Fördergelder bis zu 50.000 Euro und wurden meist an Start-ups, Einzelpersonen oder Universitäten die häufig Dienstleisterfunktionen entwickeln, wie beispielsweise die automatische Generierung von Lokalartikeln verteilt auf Basis gewisser Statistiken. Über „Medium“ Pakete, die bis 300.000 Euro umfassten, durften sich meist mittelgroße Verlage freuen, während die großen etablierten Medienhäuser meist ein „Large“-Paket von bis zu einer Million Euro erhielten.

Diese Finanzspritze hat die Verlagslandschaft in Deutschland dringend nötig. Auflagen gehen zurück, Festanstellungen werden zur Rarität und die Einnahmen aus der Werbung stagnieren. Warum der Boost aber nicht aus dem eigenen Land kommt, steht auf einem anderen Blatt. Damit der Journalismus in Europa weiterhin floriert braucht es auf jeden Fall monetäre Unterstützung. Überraschend ist allerdings, dass diese Räuberleiter von einem nordamerikanischen Konzern kommt, der in den europäischen Medien sehr kritisch beäugt wird. Und all das ohne die Forderung einer Gegenleistung. Google, der gute Samariter der europäischen Presse. Wie wir es jedoch bereits aus anderen Branchen kennen, gewährt das Mega-Unternehmen Alphabet, zu dem Google gehört, nichts ohne eine gewisse Gegenleistung. Google erschafft nicht einzelne Produkte für einen Markt, sondern ganze Ökosysteme. Android für das Handy, YouTube für Videoclips und sogar selbstfahrende Autos. Fast überall gehört Alphabet zu den „Big Players“ und bindet die User mit vielen praktischen Features sowie Kompatibilitätsvorteilen an das System.

Google News Initiative – Ökosystem der Berichterstattung

An oberster Stelle im Codex der vierten Gewalt steht die Unabhängigkeit und vor allem Unbefangenheit in der Berichterstattung. Ob ein Verlag, der auf die finanzielle Unterstützung der GNI zurückgreift trotz Abhängigkeit noch unbefangen berichten kann, muss vor der Bevölkerung erst wieder bewiesen werden. Ein Großteil kommt Digitalisierungsprojekten zu Gute. Zu beachten ist dabei, dass etwa 80% der Fördergelder an Westeuropa gehen und der größte Teil davon an Verlage, die bereits über 20 Jahre bestehen. Betrachtet man die Leserschaft dieser Verlage, so lässt sich resümieren: Google möchte Medien unterstützen deren Kunden reiche, weiße, alte Westeuropäer sind. Oder anders ausgedrückt: Google unterstützt besonders die renommierten deutschen Medienhäuser, investiert aber gleichzeitig geringe Summen in kleinere Start-ups.

Mit der GNI baut Google ein Ökosystem der Berichterstattung auf: Die Google News Suche, mit der Artikel recherchiert werden, das Dislab, mit dem die Verbreitung falscher Berichterstattung unterdrückt werden soll, das Abonnement-Feature, das Zeitungskunden an Google bindet, und die finanzielle Unterstützung für die Digitalisierung und Modernisierung der Verlage. Auf diese Weise schafft es der Konzern sowohl Produzenten, als auch Konsumenten eines gesamten Kontinents an sich zu binden.

Welche Ziele die Alphabet Tochter Google damit verfolgt, bleibt offen. Fakt ist, dass Google aktiv versucht die Verbreitung von Falschmeldungen über moderne Kommunikationswege zu unterdrücken. Auch die Betreiber von Plattformen wie Facebook und Twitter werden von der Politik in die Verantwortung gezogen, schädliche und anstößige Inhalte zu entfernen sowie „Fake News“ schneller zu identifizieren und zu korrigieren. Aufgrund gewisser Eigendynamiken ist das nicht immer realisierbar. Ob die Artikel, die mir von Google News vorgeschlagen werden, auch stets die für mich am relevantesten Artikel sind, kann nicht vorhergesagt werden. Dank der Algorithmen, welche auf Expertenbefragungen und gründlichen Vorüberlegungen fundieren, kann das Tool aber schon jeden Morgen eine Sammlung qualitativer Berichte ausspucken. Dabei werden bereits solche Artikel, die mit journalistischer Sorgfalt recherchiert, erstellt und eingeordnet wurden, bevorzugt.


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