„To hell with facts! We need stories.“
04.12.2019 | Speakers Corner
Seit über 40.000 Jahren erzählen sich die Menschen von Generation zu Generation Geschichten und geben so ihr Wissen weiter. Bis tief ins Mittelalter wurden Geschichten vor allem mündlich weitergegeben. Mit Johannes Gutenbergs Buchdruck, der auch den ersten wesentlichen Impuls zur Alphabetisierung in Europa darstellte, änderte sich das schlagartig: Das geschriebene Wort löste das mündliche ab. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts erreichte die Literatur ihren Höhepunkt mit der Erfindung des Foto- und später Filmapparats, aber auch ihren Wendepunkt. (Bewegt)bilder sind seitdem immer beliebter geworden. Heute stehen wir an einem erneuten Wendepunkt, denn die Digitalisierung von Foto und Film ermöglicht es jedermann, seine Geschichten visuell zu erzählen. Auch wenn die „Generation Z“ besonders auf Social Media lieber Bilder als Worte sprechen lässt, benötigen Bilder immer Worte, denn erst sie machen sie zu Geschichten.
Die Storytelling-Formate haben sich im Laufe der Jahrhunderte zwar immer wieder verändert, die Faszination für Geschichten ist jedoch geblieben. Das Prinzip des Storytellings ist zwar nichts neues, jedoch entdecken Kommunikationsexperten das Storytelling gerade neu. Wie Storytelling-Expertin Petra Sammer und Art-Directorin Ulrike Heppel in ihrem Buch „Visual Storytelling“ erläutern, war einer der Auslöser dafür, ein Interview mit dem Drehbuchautor und „Papst des Storytellings“ Robert McKee, das 2003 im Harvard Business Review erschien. Darin erläutert McKee, wie auch Unternehmen vom Storytelling profitieren können. Ganz nach dem Motto „To hell with facts! We need stories.“, wie es der US-amerikanische Schriftsteller Ken Kesey („Einer flog über das Kuckucksnest“) auf den Punkt brachte.
Geschichten machen Fakten erlebbar
Fakten können uns schockieren, aber im Gedächtnis bleiben sie uns nicht. An Geschichten dagegen erinnern wir uns – auch wenn sie uns vor langer Zeit erzählt wurden. Das kann man nicht nur aus eigener Erfahrung bestätigen, das zeigt auch die Neurowissenschaft. Denn Geschichten aktivieren große Teile des Gehirns. Dazu gehören zum Beispiel die Zentren, die für Sprachverarbeitung und -verständnis zuständig sind und Bereiche, die das assoziative Denken unterstützen. Deshalb lernte es sich in der Schule mit Eselsbrücken leichter, denn Erzählungen helfen uns dabei, unser Gedächtnis zu organisieren.
Geschichten werden schließlich im Langzeitgedächtnis gespeichert, in dem wir die Erinnerungen an persönliche Erlebnisse und unsere Erfahrungen aufbewahren. Dabei ist es nicht so wichtig, sich an einzelne Details zu erinnern, sondern den Zusammenhang zu erfassen. So kommt es auch, dass sich Menschen an die gleiche Geschichte anders erinnern. Dies manifestiert sich unter anderem in der Zeitzeugen Problematik: Zeitzeugen erzählen ihre eigene Version der Geschichte bzw. der Wahrheit. Hinzu kommt, dass der Zeitzeuge eine spannende Geschichte aus seinem eigenen Leben erzählen will und so evtl. an manchen Stellen die Story etwas aufpeppt. Schließlich will er die Aufmerksamkeit der Zuhörer wecken und sie mit seiner Geschichte fesseln.
Geschichten berühren
Was Daten und Fakten nicht schaffen: Emotional zu berühren. Die Neurowissenschaft hat auch nachgewiesen, dass uns Geschichten besonders dann im Gedächtnis bleiben, wenn wir dabei etwas fühlen. Geschichten berühren uns, bleiben so unvergessen und wir fangen sofort an, uns mit den Figuren zu identifizieren. Ein letzter Punkt, der für Storytelling spricht: Geschichten wirken überzeugender als eine Aneinanderreihung von Fakten. Da wir uns mit den Protagonisten identifizieren, fällt das kritische Hinterfragen der Inhalte schwächer aus. Geschichten können uns also bei der Identitätsfindung und Sinnstiftung helfen – gerade im Fall von Krisen und Katastrophen, wenn sich viele fragen: Wie konnte es dazu kommen? Denn in diesen Fällen geht es oft nicht um die tatsächliche Wahrheitsfindung, sondern um die Plausibilität bzw. Kohärenz der Geschichten.
Es war einmal…
Heute zählt also nicht mehr, wer die meisten Fakten kennt, sondern wer die beste Geschichte erzählen kann! Eine gute Geschichte zu erzählen, ist gar nicht so schwer und besteht laut Storytelling-Expertin Petra Sammer aus 5 Bausteinen:
- Sinnstiftende Marke – Warum wird die Geschichte erzählt?
- Helden – Mit wem kann sich der Zuhörer identifizieren?
- Transformation – Welcher Konflikt muss überwunden werden?
- Emotionen – Wie kann ich die Inhalte emotional vermitteln?
- Transmediales Erzählen – Auf welchen Plattformen kann ich meine Geschichte erzählen, damit sie viral geht?
Trotzdem ist Storytelling kein einfaches Handwerk für die Unternehmenskommunikation. In guten Geschichten sollten Unternehmen hinter den Protagonisten treten und sich selbst nicht in den Mittelpunkt stellen. Auch, dass jede erfolgreiche Story mit einem Konflikt beginnt, stellt Unternehmen vor eine große Herausforderung. Denn als Kommunikationsverantwortlicher will man vor allem eins: Lösungen anbieten. Aber eine Story ohne Konflikt ist nicht spannend. Wer jedoch Kunden und auch Mitarbeiter überzeugen will, sollte sich besser auf das (Visual) Storytelling einlassen – und gute Bilder mit guten Geschichten verknüpfen. Versuchen Sie doch mal wie im Märchen mit „Es war einmal…“ zu beginnen – klingt im ersten Moment albern, kann aber als gute Grundlage für eine Corporate Story dienen.