Share statt lead? Ein Tag beim Fraunhofer Institut zum Digital Leadership
12.07.2018 | Speakers Corner
A leader needs followers. So brachte kurz und knapp mein englischer Vorgesetzter einmal auf den Punkt, wie sich Führungserfolg messen lässt. „Mitarbeiter bewerben sich bei Unternehmen und sie verlassen Führungskräfte“ – so formulierte es der renommierte Unternehmensberater Reinhard Sprenger. Welche Skills und Führungsinstrumente benötigen also Führungskräfte heute in Unternehmen, die sich einem starken (oftmals digitalen) Veränderungsdruck ausgesetzt sehen?
Das Institut für Arbeit und Organisationswissenschaft der Fraunhofer Gesellschaft in Stuttgart (IAO) ging der Frage nach, welches Leader “ship“ das richtige wäre, und hatte dazu Start-up Schnellboote und etablierte Tanker wie die der deutschen Telekom, Mercedes Benz Vans oder der AOK eingeladen. Die Wetterlage für diese Schiffe wird aktuell mit VUCA umschrieben, das steht für „Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity“ und das steht bestimmt nicht für „ruhige See“. Start-ups, vor allem im Dienstleistungsbereich, können praktisch auf der grünen Wiese bzw. in der Garage mit Mitarbeitern aus dem studentischen Milieu eine experimentelle aber zumindest eine agile Unternehmenskultur etablieren – ohne starre Hierarchien oder Regeln, dafür mit vielen Freiheiten, Selbstführung, Selbstorganisation und Selbstverwirklichung. Damit einher geht ein rückläufiges Interesse an Führungsverantwortung bei jungen Berufstätigen.
Dagegen müssen sich etablierte (produzierende) Konzerne mit Tausenden von Mitarbeitern aller Altersstufen auf langwierige Change Programme in der Führungskräfteentwicklung einstellen. In Stuttgart wurde hierzu immer wieder der Begriff der „Ambidextrie“ herangezogen, was beim Menschen Beidhändigkeit bedeutet, also die gleich ausgebildete Geschicklichkeit beider Hände. Organisationale Ambidextrie beschreibt die Fähigkeit von Organisationen, gleichzeitig effizient und flexibel zu sein, also beispielsweise das Kerngeschäft zu optimieren und gleichzeitig mit iterativen Prozessen und „minimum viable products“ auf rasche Veränderungen des Kundenverhaltens zu reagieren. Hierbei sind neue Führungsideale gefragt, weniger „strategize“ dafür mehr „educate, inspire und transfer“, wie es beispielsweise bei der Telekom heißt. Digital Leaders verstehen sich auf das „und“, das fließende, situationsbezogene Umschalten vom bewährten Führungsstil des „Industriezeitalters“ auf disruptive Betriebssysteme des digitalen Zeitalters. Wieviel Veränderung notwendig ist, können Entscheider anhand ihres (digitalen) Unternehmensreifegrades, der Unternehmenskultur, dem Mindset der Führung und der Mitarbeiter ableiten. Einigkeit bei allen Teilnehmern bestand darin, dass Sinnstiftung und Orientierung – gerade in Zeiten permanenter Veränderungen – zeitlose Führungsaufgaben sind, ebenso wie mutiges und angstfreies Agieren und der reflektierte Umgang mit Fehlern.
These und bestätigtes Fazit der Fraunhofer Veranstaltung: Die Unternehmenskultur ist die wichtigste Ressource erfolgreicher Organisationen. Ein Teilnehmer definierte Kultur als „die Summe aller akzeptierten Verhaltensweisen einer Gruppe“. Akzeptanz entsteht hierbei aus dem Vertrauen in die handelnden Personen. Und eben dieses Vertrauen in Entscheidungen, in die eigenen Fähigkeiten und die Fähigkeiten der anderen zu erzeugen, war immer schon die wichtigste Aufgabe von Führungskräften, daran hat auch die Digitalisierung nichts geändert. A leader needs followers. Bei hoher See muss der Kapitän entscheiden und das Schiff führen. Egal ob Tanker oder Schnellboot.
Jochen Leufen