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Die Stunde des digitalen Journalismus

21.04.2020 | Speakers Corner

24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche – gerade während der aktuellen Coronavirus-Pandemie wollen wir rund um die Uhr aktuelle und ausführliche Informationen erhalten. Unsere wichtigste Quelle: Das Internet. Als im Jahr 1994 die ersten Medienhäuser, darunter Spiegel und das US-Magazin Time, online gingen, war der digitale Journalismus davon noch weit entfernt. Die Inhalte wurden eins zu eins von Print auf die Homepage gestellt. Mit der Zeit wuchsen die Anforderungen: Das Internet bot die Möglichkeit, zu jeder Tages- und Nachtzeit Informationen abzurufen. Die Verlage bauten separate Onlineredaktionen auf, die im Schichtdienst rund um die Uhr neue Beiträge veröffentlichten. Heute finden wir im Internet so viele Informationen, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten.

Entschleunigung des digitalen Journalismus

Der Blick zurück zeigt: Krisen haben immer zu einem Wandel des digitalen Journalismus geführt. Deshalb hat acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften nachgefragt: Ändert die Corona-Krise die Art und Weise, wie Menschen sich informieren und ihre Meinung bilden? Immerhin kursieren auch unzählige Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und Gerüchte in Messengern und den sozialen Medien. Nicht ohne Grund schränkte WhatsApp die Weiterleiten-Funktion ein, um die Verbreitung von Fehlinformationen zu verhindern. Aus den Interviews mit Reinhard F. Hüttl, Christoph Neuberger und Henriette Löwisch haben wir die Kernaussagen zusammengetragen.

Reinhard F. Hüttl, Vizepräsident von acatech und Leiter des GeoForschungsZentrums Potsdam
  1. Nicht die Wissenschaft trifft die Entscheidungen: „Wir liefern die Argumente, Optionen, wissenschaftsbasiert, evidenzbasiert und die Politik, die Wirtschaft, die Entscheidungsträger […] müssen diese Entscheidungen treffen und verantworten.“
  2. Bei den zukunftsweisenden Entwicklungen im digitalen Journalismus ist es wichtig, gleich qualitätsbasiert zu agieren, damit es nicht zu einer weiteren Entwicklung von sogenannten Echokammern – also dem selektiven News-Konsum – kommt. „Auch bei Wissenschaftlern darf dieser digitale Zugang nicht dazu führen, dass einzelne […] ‚Lautsprecher‘ die Meinungsführerschaft übernehmen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die dann doch eher zurückgezogen arbeiten […], dann nicht gehört werden und deren Ergebnisse dann nicht Teil dieses digitalen Konsums, dieser digitalisierten Journalismus-Situation werden“, betont Hüttl.


Christoph Neuberger, Professor an der Freien Universität Berlin und geschäftsführender Direktor des Weizenbaum-Instituts
  1. Es ist die Stunde der Wissenschaft und des Journalismus. Während Krisen steigt der Wissensbedarf und Corona ist eine unsichtbare Gefahr, von der wir wenig wissen, die aber potenziell alle Menschen auf der Welt betrifft. Anforderungen an den Journalismus sind neben Wissensvermittlung aber auch das kritische Hinterfragen von Handlungen sowie die emotionale Ansprache der Leser.
  2. Aktuell erleben wir eine Entschleunigung der Medien: Journalisten bereiten Daten intensiv auf, differenzieren sie und berichten umfassend. Über die Zukunft des Journalismus nach Corona lässt sich noch wenig sagen, allerdings fällt bei Beobachtungen aus der Vergangenheit auf, dass Krisen immer Entwicklungen im digitalen Journalismus angestoßen haben. So zum Beispiel bei den Anschlägen vom 11. September, bei der es digitale Liveticker in der heutigen Form noch nicht gab.


Henriette Löwisch, Leiterin und Geschäftsführerin der Deutschen Journalistenschule
  1. Wissenschaftler und Journalisten haben vieles gemeinsam: „Beide sind einer Wahrhaftigkeit verpflichtet und haben Methoden und Verfahren entwickelt, um Quellen zu prüfen und eine möglichst genaue Wiedergabe des Beobachteten abzusichern.“ Journalisten versuchen zusätzlich, diese Erkenntnisse für die Politik und die Gesellschaft zu analysieren und zu bewerten.
  2. Wissenschaftler nutzen zunehmend die sozialen Medien, um ihre Ergebnisse zu verbreiten. Der Virologe Christian Drosten führt beispielsweise gemeinsam mit dem NDR einen erfolgreichen Podcast zu den Entwicklungen des Coronavirus. Auf der anderen Seite schrecken viele Wissenschaftler aufgrund der im Netz kursierenden Fake News und Verschwörungstheorien vor den sozialen Medien zurück.


Die Eckpfeiler unserer Demokratie

Wissenschaft und Journalismus sind Eckpfeiler unserer Demokratie und ihre Freiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes verankert. Gerade in der aktuellen Zeit hören wir mehr auf die Wissenschaft denn je – und daher ist es auch wichtig, ihre Aussagen zu verstehen und an die Bevölkerung zu tragen. Trotzdem kann und darf guter Journalismus nicht umsonst sein. Der langsam beginnenden Integration des Abomodells, der Unterscheidung zwischen kostenpflichtigen und kostenlosen Beiträgen haben viele Medienhäuser während der Coronakrise entgegengewirkt. Als Zeichen der Solidarität haben sie ihre Inhalte kostenlos zur Verfügung gestellt und sich somit selbst ein Bein gestellt. „Solange Medizin und Nahrung nicht kostenlos sind, darf Recherche und Information das auch nicht sein, sonst wird sie sehr bald keiner mehr betreiben“, erklärte auch der Präsident des Verlegerverbandes BDVZ, Mathias Döpfner, in einem Interview mit HORIZONT.

Nicht nur der Journalismus spielt bei der Verbreitung von Informationen und Wissen von Experten eine Rolle. Auch die Wissenschafts-PR hilft dabei, Forschungsergebnisse aufzuarbeiten und an die Bevölkerung zu tragen. In den vergangenen Tagen ist gerade die Leopoldina ins Bild der Öffentlichkeit gerückt. Für ihre dritte ad-hoc Stellungnahme zum Coronavirus, die als Grundlage für weitere Schritte dient, erhielt die aus Halle stammende Nationale Akademie der Wissenschaften neben Lob auch viel Kritik. Bemängelt wird unter anderem die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe (24 Männer und zwei Frauen, Durchschnittsalter über 60) sowie fehlende Alltagstauglichkeit. Um glaubhaft zu sein, müssen PRler in der Wissenschaftskommunikation besonders transparent arbeiten. Lesern kann hingegen ein kurzer Blick auf die Einrichtung/Institution helfen, um eine Einordnung vorzunehmen: Je unabhängiger die Forschungseinrichtung, desto glaubhafter die Erkenntnisse, die sie mit der Öffentlichkeit teilt.


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